Regelschule – Wegweiser durch den Förderdschungel

 

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Vor einiger Zeit habe ich einen Blog zum Thema Regelschule geschrieben, welcher auf reges Interesse gestossen ist. Es ging darin vor allem darum, verständlich zu machen, weshalb der Schulalltag für ein Asperger-Kind eine so grosse Herausforderung darstellt und wie man als Eltern sein Kind unterstützen kann.

In diesem zweiten Blog zum Thema Regelschule möchte ich auf die Frage eingehen, welche Unterstützungsmöglichkeiten das schweizerische Bildungssystem für Kinder mit Asperger-Syndrom anbietet.

1. Regelschulung

Die Mehrzahl der Kinder und Jugendlichen in der Schweiz besuchen den Regelschulunterricht der öffentlichen Schule. Benötigt ein Kind aufgrund besonderer Bedürfnisse (zum Beispiel aufgrund einer Autismus-Spektrum-Störung) gezielte fachliche Unterstützung, kommt die Sonderpädagogik ins Spiel. Im schweizerischen Bildungssystem wird die Integration (= Beschulung in der Regelschule) der Separation (= Beschulung in einer Sonderschule) vorgezogen. Das heisst, dass Kinder und Jugendliche mit besonderem Bildungsbedarf möglichst innerhalb der Regelklasse gefördert werden sollten. Dazu gibt es ergänzend zum Regelunterricht eine Reihe individueller Unterstützungsmöglichkeiten durch sonderpädagogische Fachpersonen.

Nachfolgend finden Sie eine Liste von Unterstützungsmassnahmen innerhalb der Regelschule, welche für ein Asperger-Kind hilfreich sein können:

Integrative Förderung

Eine Schulische HeilpädagogIn (SHP) unterstützt und berät die Klassenlehrperson während der Schulstunde. Hat ein Kind beispielsweise Mühe in einem bestimmten Fach dem Stoff zu folgen, kann die SHP in Kleingruppen oder einzeln gezielt an bestimmten Themen arbeiten.

Klassenassistenz

Eine Klassenassistenz unterstützt ebenfalls die Lehrperson im Unterricht. Beispiel: ein Kind ist überfordert, da es im Klassenzimmer zu laut ist. Die Klassenassistenz kann mit dem Kind in einen separaten Raum gehen, damit es sich zurückziehen kann.

Psychomotorik

Die Psychomotoriktherapie richtet sich an Kinder mit Auffälligkeiten in der Bewegung (Grob-, Fein oder Graphomotorik), in der Wahrnehmung und in der sozialen bzw. emotionalen Entwicklung. Viele Asperger-Kinder profitieren von dieser Therapie, welche der Ergotherapie sehr ähnlich ist.

BBF (Begabungs- und Begabtenförderung)

Kinder mit ausgeprägten Fähigkeiten und Begabungen werden in der BBF individuell gefördert, z.B. mit Projekt- oder Forschungsarbeit. Für ein Kind mit einer Autismus-Spektrum-Störung bietet diese Form des Unterrichts einen guten Rahmen, um seine Stärken und Spezialinteressen zu vertiefen.

Nachteilsausgleich

Kinder mit einer Beeinträchtigung müssen den Alltag und die Schule mit einem unverschuldeten Nachteil bestreiten. Der Nachteilsausgleich trägt diesem Umstand Rechnung, indem spezifische Bedingungen geschaffen werden, die diesen Nachteil ausgleichen. Der Nachteilsausgleich muss fair und transparent sein. Beispiel: ein Kind mit einem Asperger-Syndrom, welches sehr lärmempfindlich ist, darf Prüfungen in einem separaten Raum schreiben. Weitere Erläuterungen und Beispiele bezogen auf Schülerinnen und Schüler mit Autismus finden sich hier.

Externe Beratung und Unterstützung

Die Sonderpädagogik der Schule kann eine externe Beratung beantragen, wenn fachspezifisches Wissen im Umgang mit Kindern mit einer Behinderung oder Verhaltensauffälligkeit nötig ist. Im Falle eines Asperger-Syndroms wäre dies z.B. die Beraterin einer Autismus-Fachstelle.

Welche dieser Unterstützungsmöglichkeiten für ein Kind mit besonderen Bedürfnissen hilfreich sind, muss individuell beurteilt werden. Der erste Schritt ist auf jeden Fall ein Gespräch zwischen der Lehrperson und den Erziehungsberechtigten. Die Lehrperson beantragt die nötigen sonderpädagogischen Massnahmen, welche durch die Schulpflege bewilligt werden müssen. Die Massnahmen werden regelmässig (in der Regel alle 6 Monate) in einem Schulischen Standortgespräch (SSG) überprüft, da sich die Bedürfnisse des Kindes im Laufe der Zeit verändern können.

Neben gezielten Massnahmen sollten in einem SSG auch die Lernziele besprochen werden. Je nach Schweregrad der Beeinträchtigung durch eine Störung oder Behinderung können diese angepasst werden, so dass das Kind nicht zwingend die Klassenlernziele erreichen muss.

2. Sonderschulung

Kann ein Kind in der Regelschule trotz ergänzender Unterstützungsmassnahmen nicht ausreichend gefördert werden, hat es Anspruch auf eine Sonderschulung. Bei der Sonderschulung gibt es wiederum verschiedene Formen:

Externe Sonderschule

Bei der externen Sonderschule handelt es sich um eine vom Kanton anerkannten Einrichtung, deren Angebot auf die Bedürfnisse des jeweiligen Kindes zugeschnitten ist. Für Kinder mit einem Asperger-Syndrom ist es zum Beispiel besonders wichtig, dass die Schule genügend Erfahrung mit ASS hat und dass Kleinklassen angeboten werden.

Integrierte Sonderschulung

Bei dieser Form der Sonderschulung besucht das Kind zwar die Regelschule, die Fallführung obliegt aber nicht der Klassenlehrperson, sondern einer SHP oder der Fachperson einer externen Sonderschule. Diese Person ist für den Förderplan, die individuellen Lernziele und das Lernen des betreffenden Kindes verantwortlich.

Einzelunterricht

Der Einzelunterricht als Form der Sonderschulung stellt keine Disziplinarmassnahme dar, sondern kann als Übergangslösung dienen, bis eine geeignete Sonderschule gefunden wird.

3. Grundsätze der Sonderpädagogik

Sowie die Liste der sonderpädagogischen Massnahmen in der Regelschule als auch die konkreten Formen der Sonderschulung variieren von Kanton zu Kanton. Auch die Prozesse und Abläufe, welche eingehalten werden müssen, sind nicht überall gleich. Allerdings basiert die Bildung im Bereich der Sonderpädagogik auf denselben Grundsätzen, welche in einer interkantonalen Vereinbarung festgelegt wurden:

  1. Die Sonderpädagogik ist Teil des öffentlichen Bildungsauftrages
  2. Integrative Lösungen sind separierenden Lösungen vorzuziehen, unter Beachtung des Wohles und der Entwicklungsmöglichkeiten des Kindes oder des Jugendlichen sowie unter Berücksichtigung des schulischen Umfeldes und der Schulorganisation;
  3. Für den Bereich der Sonderpädagogik gilt der Grundsatz der Unentgeltlichkeit; für Verpflegung und Betreuung kann von den Erziehungsberechtigten eine finanzielle Beteiligung verlangt werden;
  4. Die Erziehungsberechtigten sind in den Prozess betreffend die Anordnung sonderpädagogischer Massnahmen mit einzubeziehen.

Der letzte Punkt erscheint mir besonders wichtig. Eine sonderpädagogische Massnahme sollte immer in Absprache mit den Eltern erfolgen! Als Eltern müssen Sie in kindbezogenen Entscheidungen als gleichberechtigte Partner behandelt werden.

Zudem lohnt es sich, das sonderpädagogische Konzept der Schule zu lesen, falls dieses zugänglich ist. Andernfalls können Sie auch Kontakt mit der Leitung Sonderpädagogik aufnehmen und sich beraten lassen.

Möchten Sie andere Eltern von Asperger-Kindern kennenlernen? Dann melden Sie sich zum Asperger-Kids Elternseminar an.