Abklären lassen – Ja oder Nein? Und was kommt danach?

 

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In meinen Seminaren und Beratungen werde ich oft von Eltern gefragt, ob es sinnvoll ist, ein Kind auf das Asperger-Syndrom abklären zu lassen. Auch werde ich häufig gefragt, wie eine Abklärung abläuft und welche Schritte nach einer gestellten Diagnose unternommen werden. Diesen Fragen gehe ich in diesem Blog nach.

Abklären schafft Klarheit

Meistens tragen Eltern den Verdacht, dass ihr Kind ein Asperger-Syndrom haben könnte, lange Zeit mit sich herum. Bereits wenn das Kind noch klein ist, spüren sie, dass es anders ist als andere Kinder. Mit zunehmendem Alter wird die Vermutung stärker, dass etwas nicht stimmt. Spätestens im Kindergarten oder in der Schule wird dann eine Abklärung in Betracht gezogen. Meine Erfahrung als Elterncoach zeigt, dass es nicht einfach ist, ständig mit der Ungewissheit zu leben. Die Diagnose stellt für viele Eltern eine Erleichterung dar.

Was spricht für eine Abklärung?

Wenn bei Ihrem Kind ein Asperger-Syndrom diagnostiziert wird, dann haben Sie endlich eine Erklärung für das ungewöhnliche Verhalten Ihres Kindes. Sie haben auch nicht mehr das Gefühl, sich ständig vor aussenstehenden Personen für Ihre Erziehung rechtfertigen zu müssen. Und vor allem können Sie (und alle anderen Bezugspersonen) nun gezielt etwas unternehmen, um Ihrem Kind zu helfen. Sei dies mit Therapien oder auch einfach dadurch, dass Sie sich selber Wissen zum Thema „Asperger“ aneignen. Zu verstehen, wie Ihr Kind „tickt“, wird Ihnen im Alltag helfen, besser mit schwierigen Situationen umzugehen. Zudem öffnet sich durch die Diagnose die Möglichkeit, im schulischen Bereich mehr Unterstützung zu erhalten (lesen Sie dazu meinen Blog „Asperger und Regelschule – wie geht das zusammen?„).

Was spricht gegen eine Abklärung?

Einige Eltern befürchten, dass ihr Kind nach einer Diagnose „einen Stempel“ bekommt, der ihm mehr schadet als nützt. Die Angst, dass Ihr Kind wegen seiner Diagnose stigmatisiert oder in eine Schublade gesteckt wird, ist nachvollziehbar. Allerdings werden diejenigen Leute, die ein Kind aufgrund einer Autismus-Diagnose diskriminieren, Ihrem Kind auch ohne Diagnose kein Wohlwollen entgegenbringen. Personen, die mit dem Verhalten Ihres Kindes oder mit Ihrem vermeintlich zu laschen Erziehungsstil ein Problem haben, können Sie getrost ignorieren – unabhängig davon, ob Ihr Kind eine Diagnose hat oder nicht.

Und wenn die Diagnose ergibt, dass das Kind gar kein Asperger-Syndrom hat?

Auch dies ist wertvoll zu wissen. Sie haben durch die Abklärung einen Prozess angestossen und können nun eine mögliche Ursache für das Verhalten Ihres Kindes ausschliessen. Sie werden durch die Abklärung mit Psychologen in Kontakt kommen, die Ihr Kind kennengelernt und beobachtet haben. Diese werden Ihnen auf der Suche nach anderen möglichen Ursachen (z.B. ein ADHS) sicher behilflich sein.

Wie läuft eine Abklärung überhaupt ab?

Eine Abklärung sollte immer von einer Fachstelle durchgeführt werden. Auf der Webseite von Autismus Deutsche Schweiz finden Sie eine Liste von Fachstellen pro Kanton. Momentan sind die Wartezeiten lang – je nach Abklärungsstelle muss man bis zu sechs Monate auf einen Termin warten. Der Abklärungsprozess besteht aus ca. fünf, über mehrere Wochen verteilte Sitzungen. Dazu gehören Vor- und Nachgespräche mit den Eltern, Testungen mit dem Kind sowie Fragebögen, welche von den Eltern und der Lehrperson Ihres Kindes ausgefüllt werden.

Sie haben eine Diagnose – was sind die nächsten Schritte?

Wann und wie sagen Sie es Ihrem Kind?

Nicht nur Sie, sondern auch Ihr Kind merkt schon früh, dass es irgendwie anders ist als andere Kinder. Es unternimmt alles, um sich anzupassen und nicht aufzufallen. Aufgrund seiner Besonderheit gelingt ihm dies aber nur bedingt und unter grosser Anstrengung. Spätestens wenn es nach einem langen Schultag nach Hause kommt, bricht alles aus ihm heraus. Vielleicht bemerkt man ausserhalb der Familie nicht viel, aber im Innern staut sich viel Stress und Druck auf. Deshalb ist es auch für Ihr Kind enorm entlastend zu wissen, was der Grund für seine unterschiedliche Wahrnehmung der Welt ist. So kann es lernen, mit seinen eigenen Gefühlen und Besonderheiten umzugehen. Vor allem lernt es auch, sich so zu akzeptieren wie es ist und muss sich nicht immer verstellen.

Ab dem Schulalter ist es möglich, einem Kind seine Diagnose altersgerecht zu vermitteln. Sei dies im Gespräch oder anhand eines Buches. Warten Sie nicht zu lange damit. Je früher Ihr Kind weiss, was mit ihm los ist, desto besser. Das zeigt ihm, dass die Diagnose nichts ist, wofür man sich schämen muss oder was man verstecken soll. Im Gegenteil, ein Asperger zu sein, hat auch viele positive Seiten. Ein guter Einstieg bietet zum Beispiel der Schattenspringer. Da es in Comic-Form geschrieben ist, spricht es auch schon jüngere Kinder an, sobald sie lesen können.

Manche Kinder wollen nichts von ihrer Diagnose wissen und blocken ab. Dies sollte man respektieren und nichts erzwingen. Vielleicht möchte das Kind sich ja zu einem späteren Zeitpunkt damit auseinandersetzen.

Soll das Umfeld informiert werden?

Es ist hilfreich für alle Personen, die näher mit Ihrem Kind zu tun haben, die Ursachen seines Verhaltens zu kennen. So kann das Umfeld lernen, worauf man im Umgang mit dem Kind achten sollte. Auch die Schule sollte über die Diagnose Bescheid wissen. Ein enger Austausch und eine regelmässige Kommunikation zwischen Eltern und Lehrpersonen ist enorm hilfreich für beide Seiten. Auch eine Sensibilisierung der Klasse kann nützlich sein, damit die Mitschüler verstehen, warum sich Ihr Kind manchmal merkwürdig verhält.

Welche Therapien gibt es?

Es gibt verschiedene Therapieformen, die für Ihr Kind hilfreich sein können. Hier eine Auswahl:

Sozialkompetenzgruppen

Sozialkompetenzgruppen haben zum Ziel, die Kommunikations- und Interaktionsfähigkeiten von Asperger-Kindern in einer Gruppe zu verbessern. Dies ermöglicht die Gestaltung von Kontakten zu Gleichaltrigen und den gleichzeitigen Abbau von hinderlichen Verhaltensweisen im Umgang mit anderen.

Die Gruppen treffen sich regelmässig (meistens einmal wöchentlich) über einen längeren Zeitraum. Es gibt Sozialkompetenzgruppen für verschiedene Altersgruppen. Einige Anbieter finden Sie auf meiner Linkseite.

Ergotherapie/ Psychomotorik

Die Ergotherapie ist eine ganzheitliche Therapie, welche auf spielerische Weise Bereiche fördert, welche Asperger-Kindern häufig Mühe bereiten. Dazu gehören Bewegungsabläufe und Koordination, Sinneswahrnehmung, Konzentration und Ausdauer, Selbständigkeit und Selbstvertrauen, das Einordnen von eigenen Gefühlen und der Umgang mit Ängsten und Blockaden.

Die Psychomotorik ist eine ähnliche Therapie, welche häufig in Schulen angeboten wird. Sie ist ebenfalls auf eine ganzheitliche Förderung im motorischen, sozialen und emotionalen Bereich ausgerichtet.

Psychotherapie

Oftmals treten im Rahmen einer Autismus-Spektrum-Störung komorbide Störungen wie Ängste, Zwänge oder depressive Verstimmungen auf, welche durch eine Psychotherapie gut behandelt werden können. Auch bei störenden und unangemessenen Verhaltensweisen (wie zum Beispiel Stereotypen oder aggressivem Verhalten) kann eine Psychotherapie hilfreich sein.

Begleitend werden manchmal auch Medikamente eingesetzt. Es gibt zwar kein Medikament, welches den Autismus direkt behandelt, aber komorbide Erkrankungen oder zusätzliche Verhaltensauffälligkeiten können durch eine medikamentöse Behandlung gelindert werden.

Bezahlt die IV oder Krankenkasse etwas an allfällige Therapiekosten?

Es lohnt sich, das Kind bei der Invalidenversicherung anzumelden, da die Grundversicherung oder Zusatzversicherung nicht jede Form von Behandlung oder Therapie abdeckt. Auch für die spätere berufliche Integration bietet die IV wertvolle Unterstützung. Am besten nehmen Sie Kontakt mit Ihrer lokalen IV Stelle auf und lassen sich beraten.

Der Kontakt zu anderen Eltern ist sehr wertvoll! Hier geht’s zu meinen Elternseminaren.