Veränderungen – weshalb ist Vorhersehbarkeit so wichtig für Asperger-Kinder?

 

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Haben Sie das auch schon erlebt? Etwas läuft nicht nach Plan und Ihr Kind rastet komplett aus. Oder eine (scheinbar) kleine Veränderung löst einen unvermittelten Wutanfall aus.

Als Mutter oder Vater eines Asperger-Kindes kennen Sie diesen Ausnahmezustand bestimmt. Solche Anfälle bringen nicht nur Ihr Kind, sondern auch Sie selbst an Ihre Grenzen. Am schlimmsten fühlt es sich an, wenn sich das Ganze in der Öffentlichkeit abspielt, wo man zu allem Überfluss noch den verständnislosen Blicken anderer Leute ausgesetzt ist.

Aber weshalb ist es für ein Asperger-Kind so schlimm, wenn etwas anders läuft, als vorgesehen? Warum kommt es mit Veränderungen so schlecht klar?

Und wie können Eltern besser mit diesen unangenehmen Situationen umgehen bzw. wie lassen sie sich möglichst vermeiden? Diesen Fragen gehen wir in diesem Blogartikel nach.

Zunächst ist es wichtig zu wissen, dass jegliche Art von Unsicherheit, Unvorhersehbarkeit und Unkontrollierbarkeit bei einem Asperger-Kind enormen Stress auslöst. Nicht nur Ereignisse können für ein Asperger-Kind unvorhersehbar sein, auch das Verhalten ihrer Mitmenschen ist für sie oftmals unberechenbar, da sie Mühe haben, andere Menschen zu lesen und einzuschätzen.

Der Grund für diese niedrige Veränderungstoleranz liegt in der Art und Weise, wie das Gehirn eines Asperger-Kindes die Umwelt wahrnimmt und verarbeitet. Jedes Mal, wenn etwas Unvorhergesehenes passiert, muss unser Gehirn mit dieser Veränderung umgehen. Das Umdenken und Anpassen an die neuen Gegebenheiten kosten extra Energie. Das Gehirn eines Asperger-Kindes verbraucht aber schon ohne zusätzliche Veränderung mehr Energie als ein neurotypisches Gehirn. Dies hat mit der speziellen Art und Weise zu tun, wie es aufgebaut ist und funktioniert. Die starke Detailorientiertheit, das immense Gedächtnis und die reduzierte Impulskontrolle sind nur einige Beispiele für diese andersartige Organisation, aufgrund dessen das Gehirn eines Asperger-Kindes häufig an seiner Belastungsgrenze läuft. Nimmt alles seinen gewohnten Gang, kann ein Asperger-Kind gerade noch damit umgehen. Muss es sich aber auf eine Veränderung einstellen, bringt dies das Fass schnell um überlaufen. Das Kind spürt die Überforderung und versucht sich mit Händen und Füssen dagegen zu wehren.  Diese Ausraster haben also nichts mit Sturheit oder Ungehorsam zu tun, sondern stellen schlichtweg eine Überlastung des Gehirns dar.

Hinzu kommt noch, dass Menschen mit einer Autismus-Spektrum-Störung keine guten selbstregulierenden Strategien entwickeln. Darunter versteht man bewusste und unbewusste Prozesse, um die Art, Dauer und Intensität von Emotionen zu beeinflussen. Ist der Stress erst einmal entstanden, fällt es einem Asperger-Kind enorm schwer, die eigenen Emotionen zu regulieren und sich selbst zu beruhigen.

Wie können Sie Ihrem Kind helfen?

Möglichst wenig Veränderungen

Dies klingt vielleicht banal, aber es ist die wirksamste Methode, um Stress zu vermeiden. Das Gehirn eines Asperger-Kindes kann nicht von Grund auf umgekrempelt werden. Es wird sein ganzes Leben lang mit einem erhöhten Stresslevel leben müssen. Routinen und Rituale helfen, den Energiehaushalt des Gehirns auf einem tragbaren Niveau zu halten. Auch detaillierte Pläne (fürs Essen, für die Schule, für die Freizeit etc.) sind eine grosse Hilfe, da sie die Welt ein Stück vorhersehbarer machen.

Möglichst wenig zusätzlicher Stress, wenn etwas anders läuft als gewohnt

Lässt sich eine Veränderung nicht umgehen, ist es wichtig, dass man in diesem Moment oder an diesem Tag jeglichen zusätzlichen Stress vermeidet. Wenn zum Beispiel in der Schule gerade eine Projektwoche stattfindet, ist es nicht ratsam, zusätzlich ein spezielles Freizeitprogramm zu machen oder Besuch zu haben. Es ist besser, wenn Ihr Kind zu Hause seinen Ritualen und Routinen nachgehen kann, damit es wenigstens da einen vertrauten Ablauf hat.

Kind so früh wie möglich über Veränderungen informieren

Je früher ein Asperger-Kind über eine unplanmässige Veränderung informiert wird desto besser. Dies gibt ihm Zeit, sich an die Umstellung zu gewöhnen. Zwar können Sie den Wutanfall so nicht verhindern, aber wenigstens passiert er bevor Sie mit Ihrem Kind bereits in der Situation sind, wo die Veränderung eintritt. Wenn Sie also Ihr Kind bereits am Vorabend darüber informieren, dass es am nächsten Tag zum Mittagessen nicht wie geplant Spaghetti Bolognese gibt, sondern Spaghetti mit Tomatensauce, dann haben Sie an dem Abend vielleicht ein wütendes Kind, dafür verläuft das Mittagessen friedlich. Der schwierige Moment lässt sich so zu einem Zeitpunkt vorwegnehmen, der für Sie weniger aufreibend ist.

Eine weitere gute Strategie ist es, das Kind möglichst in den Prozess der Veränderung miteinzubeziehen. Wenn es zum Beispiel darum geht, in den nächsten Ferien eine neue Feriendestination auszuprobieren, so kann man das Kind den Urlaub mitplanen lassen. Dies hilft ihm, sich nicht ausgeliefert zu fühlen, sondern Teil des Prozesses zu sein und eine gewisse Kontrolle darüber zu haben, was passiert. Auch hilft es, wenn man die Veränderung auf irgendeine Art und Weise visualisiert, zum Beispiel in Form eines Plans, der genau zeigt, was ausnahmsweise anders läuft, als gewohnt.

Zeit geben, nicht hetzen

Wie bereits im vorherigen Punkt erwähnt, braucht ein Asperger-Kind mehr Zeit, um sich an neue Gegebenheiten anzupassen. Wenn man selbst möglichst ruhig bleibt und das Kind nicht hetzt, ist dies enorm hilfreich.

Nehmen wir mal an, Sie möchten bei schönem Wetter in ein Restaurant und freuen sich auf ein paar gemütliche Stunden auf der Sonnenterrasse. Nun sind die Tische draussen leider alle besetzt und Sie müssen drinnen sitzen. Wenn Ihr Asperger-Kind nun Mühe mit dieser Planänderung hat, dann ist es hilfreich, zuerst einmal mit dem Kind zurück zum Auto (oder an einen ruhigen Ort) zu gehen und es sich beruhigen zu lassen. In dem Moment ist es sehr wichtig, dass Sie nicht auf das Kind einreden, sondern es einfach in Ruhe lassen, damit es irgendwann wieder klar denken kann (erinnern Sie sich daran, dass in dieser Situation das Gehirn Ihres Kindes überlastet ist). Dies kann eine Weile dauern, aber es ist besser, wenn Sie sich die Zeit nehmen, als das schreiende Kind ins Restaurant zerren. Wenn Sie merken, dass sich Ihr Kind beruhigt hat, können Sie gemeinsam eine Lösung suchen. Sie können dem Kind in aller Ruhe verschiedene Optionen aufzeigen und mit ihm diskutieren: Entweder nach Hause gehen und selber etwas kochen, später wiederkommen (wenn vielleicht ein Platz draussen frei ist) oder ein anderes Restaurant suchen. Dies bedeutet nicht, dass Sie alles so machen, wie es dem Kind gerade passt. Es geht darum, einen Kompromiss zu finden, mit dem jeder leben kann. Sie bringen ihrem Kind etwas Wichtiges bei, nämlich dass im Leben nicht alles schwarz-weiss ist (entweder wir essen draussen oder gar nicht), sondern dass es im Leben immer Optionen und Kompromisse gibt.

Es ist nicht immer leicht, in solchen Situationen ruhig zu bleiben. Wenn Sie merken, dass in Ihnen die Wut aufsteigt, ist es besser, das Zepter an Ihren Partner oder Partnerin abzugeben. Falls das nicht möglich ist, hilft es auch, wenn Sie sich räumlich für eine kurze Weile von Ihrem Kind trennen, bis Sie und Ihr Kind wieder etwas ruhiger sind.

Je älter Ihr Kind wird, desto besser wird es mit Veränderungen umgehen können. Unsichere Situationen werden ihm zwar immer zu schaffen machen, aber es kann diese besser reflektieren und Strategien finden, damit umzugehen. Sie können Ihrem Kind dabei helfen, indem Sie mit ihm über vergangene Situationen sprechen und gemeinsam überlegen, wie es sich in Zukunft besser beruhigen kann.

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