Kleine Regisseure

 

Kennen Sie diese Situation? Ihr Kind hat eine Freundin oder einen Freund zu sich nach Hause eingeladen. Nun möchte es wie ein kleiner Regisseur alles bestimmen. Das andere Kind darf nur mit ganz bestimmten Spielsachen spielen (wenn überhaupt). Im Rollenspiel gibt Ihr Kind Anweisungen, wer was wann zu tun und zu sagen hat.

 

Als Mutter oder Vater ist einem die Situation vielleicht unangenehm und man macht sich Sorgen, ob so jemals Freundschaften entstehen können. In diesem Blog möchte ich Ihnen erklären, dass dieses Verhalten nichts mit Egoismus zu tun hat, sondern einerseits mit der Angst vor Kontrollverlust und andererseits mit gewissen Defiziten in der sozialen Interaktion und Kommunikation. Auf beide Bereiche möchte ich eingehen, bevor ich Ihnen einige Tipps mit auf den Weg gebe, wie Sie Ihr Kind im sozialen Umgang unterstützen können.

Angst vor Kontrollverlust und Unklarheit

Die Angst vor Kontrollverlust hängt stark mit der autistischen Wahrnehmung zusammen. Die vielen ungefilterten Sinneseindrücke führen bei Kindern mit einem Asperger-Syndrom rasch zu erhöhtem Stress. Die Welt erscheint für sie oft unkontrollierbar, unvorhersehbar und unsicher. Da ist es nachvollziehbar, dass ein Kind mit dem Asperger-Syndrom nach Halt und Ordnung sucht. Am einfachsten geht das, indem es die Handlungen und Abläufe bestimmt. So kann nichts Unvorhergesehenes passieren.

Defizite in der sozialen Interaktion und Kommunikation

Der zweite Aspekt betrifft eines der zentralen Diagnosekriterien einer Autismus-Spektrums-Störung: Die Defizite in der sozialen Interaktion und Kommunikation. Die Gründe für diese Defizite sind vielfältig. Erstens fällt Asperger-Kindern der Perspektivenwechsel, auch als „Theory of mind“ bekannt, schwer. Darunter versteht man die Fähigkeit, mentale Zustände (d.h. Gedanken, Gefühle oder Absichten) des Gegenübers zu verstehen. Dieses Hineinversetzen in die Perspektive des Anderen ist ein zentraler Bestandteil der sozialen Interaktion. Denn nur wenn ich verstehe, was mein Spielpartner fühlt oder denkt, kann ich meine eigenen Handlungen darauf abstimmen, so dass ein gutes soziales Zusammenspiel entsteht. Ein zweiter Grund für die erschwerte soziale Interaktion betrifft das Erkennen von Gefühlen anhand von Gesichtsausdrücken. Zwar schneiden Personen mit Asperger bei Tests im Erkennen von „einfachen“ Gefühlen wie Freude oder Angst etwa gleich gut ab wie neurotypische Menschen. Bei komplexeren Gefühlsausdrücken wie Ekel oder Ärger haben sie aber deutlich mehr Mühe. Dies erschwert die soziale Interaktion mit Mitmenschen, da auf Gefühle des Gegenübers nicht immer angemessen reagiert wird. Die dritte Auffälligkeit betrifft den Blickkontakt. Er ist ein weiterer zentraler Anhaltspunkt, um Gefühle und Gedanken des Gegenübers zu einzuschätzen. Schon als Baby schauen Kinder, die später mit dem Asperger-Syndrom diagnostiziert werden, weniger häufig in die Augen ihrer Mitmenschen als neurotypische Babys. Damit entgehen ihnen schon ganz früh viele Lernmomente, um das Erkennen von Gefühlen und Gedanken zu üben.

Wenn man als Eltern oder Bezugsperson nun die Interaktion eines Asperger-Kindes mit anderen Kindern beobachtet, sollte man immer die oben genannten Herausforderungen im Hinterkopf behalten. Kann es sein, dass das Asperger-Kind überfordert ist von zu vielen Reizen oder Kindern? Ist ihm die Situation zu unstrukturiert bzw. ist es zu unklar, was die Spielregeln sind? Hat es überhaupt bemerkt, dass das andere Kind schon längst verärgert ist? Weiss es, wie es auf andere Kinder zugehen soll? Versteht das Kind, was es bedeutet, beim Spielen oder Sprechen abzuwechseln?

Bei einem neurotypischen Kind muss man sich diese Fragen ab einem gewissen Alter nicht mehr stellen. Es ist deshalb manchmal schwer nachvollziehbar, dass zum Beispiel ein 10-jähriges Kind nicht warten kann, bis es drankommt. Wir müssen uns deshalb immer wieder in Erinnerung rufen, dass ein Asperger-Kind all dies nicht mit böser Absicht tut, sondern weil es ihm schnell zu viel wird und ihm das intuitive soziale Verständnis fehlt. Unsere Aufgabe als Erwachsene ist es, ihm zu helfen, die sozialen Regeln und den Umgang mit Mitmenschen zu erlernen.

Hier einige Tipps, wie Sie Ihr Kind im sozialen Umgang unterstützen können:

Soziale Komplexität verringern

Laden Sie wenn möglich nur ein Kind zu sich nach Hause zum Spielen ein. Mehr als eine Spielpartnerin/ein Spielpartner kann Ihr eigenes Kind schnell überfordern. Zudem kann es in einem eins-zu-eins Setting am besten lernen, wie man mit anderen Kindern spielt. Bleiben Sie in Hördistanz zu den spielenden Kindern, damit Sie eingreifen können, falls die Situation eskaliert.

Die Situation vorhersehbar machen und Abmachungen treffen

Besprechen Sie mit Ihrem Kind im Voraus, was es ungefähr spielen möchte. Spielsachen, die es nicht teilen will, verstauen Sie im Schrank. Nehmen Sie gegebenenfalls die Sachen, mit denen es teilen kann, ins Wohnzimmer und das Kind und die Freundin/der Freund spielen dort. Falls Sie Zeit und Energie haben, dann ist es auch sehr hilfreich, wenn Sie mit den Kindern etwas basteln oder z.B. Kekse backen. Die Interaktion zwischen den Kindern ist dann zwar nicht ganz so direkt, aber sie lernen trotzdem, zum Beispiel kurz zu warten, bis der Freund/die Freundin den Leimstift zurückgibt.

Erklären Sie Ihrem Kind, dass andere Kinder auch gute Ideen haben, und dass man deren Spielideen ja mal ausprobieren kann. Falls es ihm nicht gefällt, kann es das sagen.

Sozialkompetenz-Trainings

Wenn Ihr Kind schon älter ist, bietet sich auch eine Sozialkompetenzgruppe für Asperger-Kinder an. Diese Gruppen treffen sich regelmässig unter der Leitung einer Psychologin/eines Psychologen, um soziale Themen aufzugreifen und soziale Kompetenzen zu erlernen. Eine Liste mit Anbietern finden Sie hier.

Situationen nachbesprechen

Asperger-Kinder haben kein intuitives Verständnis für soziale Regeln, sie können diese aber über ihre Kognition gut erlernen. Deshalb ist es wichtig und sinnvoll, soziale Situationen in einer ruhigen Minute nochmals anzuschauen und zu besprechen. Beispielsweise können Sie mit einfachen Strichmännchen aufzeichnen, was sich in einer sozialen Situation abgespielt hat. Sprechblasen und Gedankenblasen können aufzeigen, was in der anderen Person vorgegangen ist. Mehr zu dieser Technik erfahren Sie im Buch „Comic Strip Gespräche“ von Carol Gray. Auch „Social Stories“ können helfen, soziale Regeln zu erlernen. In solchen Geschichten werden verschiedene soziale Situationen aufgegriffen und erklärt.

Aufklärung des Umfelds

Es gibt viele soziale Situationen in denen Sie nicht direkt dabei sein können und auf die Sie auch keinen Einfluss haben. Umso wichtiger ist es deshalb, das nähere Umfeld Ihres Kindes über die Diagnose zu informieren. So können Grosseltern, Betreuungspersonen, Lehrpersonen und Mitschüler Rücksicht nehmen und haben eine Erklärung für das vielleicht sonderbare Verhalten Ihres Asperger-Kindes.

Möchten Sie andere Eltern kennenlernen, die ebenfalls ein Asperger-Kind zuhause haben? Dann melden Sie sich zu meinem Elternseminar an. Hier geht’s zu meinen Angeboten.