Die unsichtbare Anstrengung – Maskieren bei Asperger-Kindern

Illustration eines Kindes mit einer Maske vor dem Gesicht – Symbol für Masking bei Autismus

Von aussen wirken manche Asperger-Kinder ruhig, aufmerksam und freundlich – sei es im Klassenzimmer, bei den Grosseltern oder während eines Hobbys. Lehrpersonen, Angehörige oder Trainer:innen sind oftmals erstaunt, wenn Eltern erzählen, dass ihr Kind im Anschluss zuhause regelmässig in Tränen ausbricht oder in Wut und Erschöpfung versinkt.

Der Grund dafür ist nicht „schlechtes Benehmen bei den Eltern“, sondern genau das Gegenteil: eine sichere Bindung. Kinder wissen, dass ihre Beziehung zu den Eltern so stark ist, dass sie auch den schlimmsten Meltdown oder Wutanfall aushält. Das Kind kann loslassen, weil es sich sicher und verstanden fühlt.

Dieses Phänomen der Anpassung nennt sich Maskieren. Es tritt besonders häufig in der Schule auf – dort, wo der soziale Druck hoch und die Erwartungen an Anpassung gross sind. Auch in anderen öffentlichen oder fremden Situationen kann das Bedürfnis, nicht aufzufallen, stark sein. Zuhause hingegen, in der sicheren Bindung zu den Eltern, bricht die aufgestaute Anspannung heraus.

Nicht alle Kinder im Autismus-Spektrum maskieren. Manche zeigen ihr authentisches Verhalten auch in sozialen Situationen ausserhalb des Zuhauses. Viele andere jedoch halten stundenlang durch – und brechen erst zuhause zusammen.

Besonders häufig maskieren Mädchen. Sie sind oft wahre „Sozialdetektivinnen“: Sie beobachten ihr Umfeld sehr genau, imitieren Gestik und Mimik anderer Kinder und lernen soziale Abläufe beinahe auswendig. So gelingt es ihnen, lange unauffällig zu bleiben. Die Kehrseite: Ihr Autismus wird dadurch oft später erkannt oder sogar übersehen, weil sie ihre Schwierigkeiten so geschickt überspielen. Aufklärung über das Maskieren ist deshalb gerade bei Mädchen besonders wichtig.

Was bedeutet Maskieren?

Maskieren beschreibt das Verhalten von Kindern im Autismus-Spektrum, ihre natürlichen Impulse und Schwierigkeiten bewusst oder unbewusst zu verbergen. Sie beobachten ihre Umgebung genau und passen sich an – indem sie Blickkontakt halten, Bewegungen unterdrücken, sozial „korrekt“ reagieren, Schwierigkeiten beim Verstehen überspielen oder überfordernde Reize aushalten, obwohl es ihnen zu viel ist.

Nach aussen wirken sie dadurch unauffällig, vielleicht sogar unkompliziert. Doch die Anstrengung im Hintergrund ist enorm – es kostet Kraft, ständig gegen die eigenen Bedürfnisse und Empfindlichkeiten anzukämpfen, um den Erwartungen anderer zu entsprechen.

Die Folgen von Maskieren

„Entladung“ zuhause

Viele Kinder halten den ganzen Tag über durch – doch sobald sie im sicheren Umfeld sind, bricht die Anspannung heraus. Das zeigt sich in Tränen, Wutanfällen, Meltdowns oder totaler Erschöpfung.

Missverständnisse zwischen Eltern und Aussenwelt

Weil Kinder bei Schule, Verwandten oder im Verein oft angepasst wirken, stossen Eltern mit ihren Schilderungen manchmal auf Unglauben. Andere sagen dann: „Aber bei uns ist doch alles bestens!“ – und sehen nicht, wie viel Anstrengung das Kind in Wahrheit kostet.

Langfristige Belastung

Wenn Kinder über Jahre hinweg maskieren müssen, kann das ihre psychische Gesundheit belasten. Gefühle von Einsamkeit, das Empfinden „niemand kennt mein wahres Ich“ oder sogar Depressionen und Ängste können die Folge sein.

Was Eltern, Schule und Bezugspersonen tun können

Ernst nehmen, was zuhause passiert

Nur weil ein Kind ausserhalb unauffällig wirkt, heisst das nicht, dass es keine Unterstützung braucht. Die Erzählungen der Eltern sind ein wichtiger Teil des Gesamtbildes und verdienen Glauben und Aufmerksamkeit.

Offene Kommunikation pflegen

Ein regelmässiger Austausch zwischen Eltern, Lehrpersonen und anderen Bezugspersonen hilft, das Kind ganzheitlich zu sehen. Wenn alle Seiten ihre Beobachtungen teilen, lassen sich Missverständnisse vermeiden. Zudem merkt das Kind, dass alle Bezugspersonen an einem Strang ziehen und es in seiner ganzen Persönlichkeit akzeptieren.

Reizpausen und Rückzugsorte ermöglichen

Kinder profitieren von kleinen Auszeiten – sei es im Klassenzimmer, beim Familienbesuch oder im Verein. Die Pausensituation in der Schule kann jedoch oft überfordernd sein, daher lohnt es sich, individuelle Massnahmen für das Kind zu überlegen. Auf die Bedürfnisse des Kindes einzugehen, Konflikte im Auge zu behalten und gegebenenfalls nachzusprechen, hilft, die Pause wirklich als Erholung zu nutzen. Klare Regeln geben Orientierung, und es kann entlastend sein, dem Kind zu erlauben, früher ins Schulhaus zu kommen oder in die Pause zu gehen, wenn die Situation zu viel wird. Ziel ist: Die Pause soll tatsächlich zur Erholung dienen und nicht zusätzlichen Stress erzeugen.

Reduktion des Stundenplans / Befreiung von Hausaufgaben

Wenn der Schulalltag über längere Zeit generell überfordernd wirkt oder insbesondere bei jüngeren Kindern, können eine Reduktion des Stundenplans oder eine vorübergehende Befreiung von Hausaufgaben viel Entlastung bringen. Hausaufgaben erzeugen sonst oft zusätzliches Konfliktpotenzial. Diese Massnahmen helfen, die Energiereserven des Kindes zu schützen und Überforderung zu vermeiden.

Echtes Verhalten zulassen

Kinder sollen wissen, dass sie nicht ständig „funktionieren“ müssen. Wenn sie ihre Bedürfnisse zeigen dürfen – durch Rückzug, Bewegung oder klare Worte – fühlen sie sich sicherer und müssen weniger maskieren.

Sensibilisierung schaffen

Je besser das Umfeld über das Maskieren Bescheid weiss, desto eher werden Verhaltensweisen richtig gedeutet. Ein angepasstes Kind bedeutet nicht automatisch ein entspanntes Kind – und genau dieses Bewusstsein macht den Unterschied.

Fazit

Maskieren ist eine stille Meisterleistung. Kinder schaffen es, stundenlang durchzuhalten, soziale Erwartungen zu erfüllen und Überforderungen auszuhalten – eine Anpassungsfähigkeit, die oft übersehen wird. Doch dieser Schein kostet viel Kraft.

Wenn Eltern, Schule und weitere Bezugspersonen gemeinsam hinschauen, verstehen und Freiräume schaffen, entlastet das die Kinder enorm. Erst dann haben sie die Chance, die Maske fallen zu lassen – und sich in ihrer echten, einzigartigen Persönlichkeit zu zeigen.