Interview mit einem Asperger-Kind (10 Jahre)

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Womit beschäftigst Du Dich am liebsten in Deiner Freizeit?

Am liebsten beschäftige ich mich mit Dingen, die mir Wissen vermitteln. Im Moment untersuche ich gerne Sachen unter dem Mikroskop. Ich lese aber auch sehr gerne. Sich in ein Buch zu vertiefen, ist eine schöne Beschäftigung. Ich merke dann oft gar nicht mehr, dass ich mit den Augen lese. Es wird alles schwarz um mich herum und es ist wie ein Hörspiel.

Ich baue auch sehr gerne mit Lego, entweder frei aus meiner Fantasie oder nach Anleitung. Es ist etwas, bei dem man nichts falsch machen kann. In den Anleitungen wird einem alles schön vorgegeben und man hat alles unter Kontrolle.

Wie hast Du Freunde gefunden? War das schwierig für Dich? Warum?

In der Unterstufe war ich sehr zurückhaltend. Die anderen Kinder in der Klasse haben sich schneller untereinander angefreundet. Bei mir ging das viel länger. Ich habe ihnen oft unauffällig beim Fussballspielen zugeschaut. Aber ich habe mich nie getraut zu fragen, ob ich mitspielen darf. Dann habe ich im Klassenrat gefragt, ob ich mal mit den anderen in der Pause Fussball spielen könnte. Das hat viel bewirkt. Die anderen Kinder waren sehr nett und haben mich mitspielen lassen. Danach ging es mir viel besser. Jetzt in der Mittelstufe weiss ich schon ein bisschen besser, wie das geht mit dem Freunde finden. Wir machen in der Schule viele Gruppenarbeiten. Obwohl ich Gruppenarbeiten nicht so mag, hat es mir geholfen mich mit anderen anzufreunden. Es war auch sehr hilfreich, dass die neue Klasse über mein Asperger-Syndrom aufgeklärt wurde.

Was ist schwierig für Dich in der Schule?

Manchmal bin ich müde und es fällt mir schwer, mich zu konzentrieren. Vor allem bei Sachen, die mich nicht interessieren. Auch Gruppenarbeiten fallen mir schwer. Vor Prüfungen bin ich sehr aufgeregt, weil ich Angst habe, dass ich mich nicht gut genug vorbereitet habe.
Wenn etwas anders läuft als gewohnt (z.B. Skitag oder Sporttag), ist das sehr schwierig für mich. Auf solche Tage muss ich mich immer gut vorbereiten. Dann macht es mir nicht so viel aus.
Hausaufgaben mache ich nicht so gerne. Ich verstehe nicht, warum ich etwas nochmals üben muss, das ich schon in der Schule gelernt habe. Das überfordert meinen Kopf. Ich nehme sehr viele Details wahr. Das macht mich müde, weil alles in meinem Gedächtnis hängenbleibt.
Ich arbeite manchmal langsamer als die anderen Kinder in meiner Klasse, da ich alles fehlerfrei machen möchte. Ich erledige die Aufgaben gerne detailliert und richtig, damit ich sie nachher nicht noch einmal machen muss. Ich will mir immer ganz sicher sein. Es ist schön, wenn ich keinen Fehler mache. Es ist so ein Glücksgefühl, das alles Schlechte am Tag übertrifft. Wenn ich einen Fehler mache, finde ich es unschön. Denn wenn ich etwas korrigieren muss, dann ist das so ein hin und her. Ich muss mich dann im Kopf neu organisieren. Das überfordert mich. In solchen Situationen fühle ich mich wie ein Computer, der abstürzt.

Was denkst Du, was fällt Dir leichter als anderen Kindern (ohne Asperger-Syndrom)?

Ich sehe sehr viele Details, die anderen Kindern nicht auffallen. Das ist bei gewissen Spielen, wo Details gefragt sind, ein Vorteil. Da bin ich besser als andere.
Es fällt mir auch leichter als anderen Kindern, mich in Bücher und Themen zu vertiefen. Ich kann mich sehr schnell in etwas vertiefen. Sachen, die ich gelernt habe, bleiben sehr lange in meinem Kopf hängen. Dadurch weiss ich sehr viel. Ich habe ein gutes Gedächtnis.

Du hast erwähnt, dass Du sehr viele Details siehst. Wie muss man sich das vorstellen?

Ich sehe die Details nicht nur, ich höre sie und ich rieche sie auch. Ein normaler Mensch ist wie eine Lupe und ich bin wie ein Mikroskop. Ich nehme fast alles wahr, was um mich herum passiert.

Weshalb ist Vorhersehbarkeit so wichtig für Dich?

Es ist mir körperlich wichtig. Ich kann es fast nicht erklären. Wenn ich etwas vorhersehe, kann ich detailliert damit umgehen. Wenn ich etwas nicht vorhersehe, dann ist das wie ein Radau in meinem Kopf. Mein Kopf spielt verrückt. Es ist dann wie eine Mauer, die schräg über mir ist. Ich könnte mich hindurchzwängen, aber es ist extrem mühsam. Es kostet mich sehr viel Überwindung. Es ist ein Gefühl, das sich in meinem Körper ausbreitet und in meinem Kopf wütet, wie ein Tornado. Ich kann dann nicht mehr richtig denken und es macht mich auch wütend. Dieses Gefühl, das sich ausbreitet, mag ich überhaupt nicht. Es verwirrt meine Gedanken. Es ist wirklich sehr schwierig für mich. Ich muss mich dann manchmal auch zurückziehen, weil es mich traurig macht.
Was ich nicht vorhersehen kann, erscheint mir wie etwas Schlechtes. Ich mag es einfach immer, wenn alles geplant ist.

Was wünschst Du Dir für Dich und andere Asperger Kinder?

Ich wünsche mir, dass sie Eltern haben, die immer alles schön vorausplanen, damit das Kind weiss, was das für eine Welt ist, die es da erwartet. Und dass sie verstehen, dass die Kinder nicht faul sind, wenn sie zum Beispiel die Hausaufgaben nicht machen, sondern dass sie überfordert sind mit den vielen Informationen.
Ich wünsche mir, dass sie gute Lehrer haben, die gut informiert sind und die viel über das Asperger-Syndrom wissen.
Wenn das Kind etwas Neues machen muss, sollten die Eltern es ruhig angehen mit dem Kind und nicht schnell. Es muss zuerst im Kopf darüber nachdenken können. Die Eltern sollten akzeptieren, dass es etwas mehr Zeit braucht und es nicht hetzen. Ich wünsche mir, dass die Erwachsenen nicht wütend werden auf die Kinder, sondern merken, dass das Kind einfach unsicher ist. Das Kind kann ja nichts dafür.
Ich wünsche mir, dass die Asperger-Kinder keine Angst vor der Schule haben. Und dass die Lehrer immer gute Tagespläne machen. So ist man immer vororganisiert.
Ich wünsche mir auch, dass sie Freunde finden. Das ist sehr wichtig.

Worauf sollten die Eltern im Umgang mit Kindern wie Dir achten?

Nie wütend werden, immer langsam vorangehen und Pläne anfertigen, damit nichts überraschend kommt.

Vielen Dank für Deine Antworten!

 

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